Interview: Die Arbeit mit digitalen Medien in der Kita

Welche Erfahrungen machen Erzieher*innen bei ihrer Arbeit mit digitalen Medien? Wir haben in der Kita Kanalstraße in Ludwigshafen, einer der teilnehmenden Kitas des Projektes medienBUNT-rlp nachgefragt!


Was sind Ihre Erfahrungen, wie bei der Arbeit mit digitalen Medien verschiedene Bildungsaspekte angesprochen werden?

Carsten Schöttke (CS, Erzieher in der Kita Kanalstraße): "Wenn man es situationsorientiert als Instrument einsetzt, als Instrument der Interaktion und auch als Instrument der Selbstvergewisserung von Kinderseite aus, kann man letztendlich alle Bildungsbereiche der BEE (Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz) einbeziehen. Man kann mit dem Tablet wirklich alle Bildungsbereiche erreichen, sei es die Sprachförderung, sei es die soziale Kompetenz: Wenn ich es nicht nur von einem Kind alleine bespielen lasse bzw. wenn sich nicht nur ein Kind in dem Moment tätig damit auseinandersetzt. Seien es ästhetische Aspekte, Science, naturwissenschaftliche Aspekte. Wenn ich die Kamerafunktion nutze bzw. wenn ich es mit dem WLAN-Mikroskop koppele, dann bin ich ganz schnell auch schon in naturwissenschaftlichen Bereichen."

Angelique Werth (AW, Erzieherin in der Kita Kanalstraße): "Digitale Kompetenzen, das kann heißen, dass man sich gegenseitig unterstützt, weil der eine dann zu Hause schon ein iPad hat oder irgendwie mit Medien umgeht und dann können die Kinder sich gegenseitig auch unterstützen und sagen: hier musst du drücken. Mit den Medien wird das alles so ein bisschen zusammengefasst, das betrifft jeden Bildungsbereich. Das sehe ich genauso."

CS: "Es ist eine Erweiterung der Möglichkeiten, die wir jetzt schon haben im analogen Bereich. Wenn ich auch den digitalen Bereich als weiteres Tool im pädagogischen Werkzeugkasten Kindergarten sehe, dann kann ich wirklich sämtliche Bereiche, sämtliche Bildungs- und Erziehungsbereiche damit anreichern. Es geht ja nie darum, dass das Tablet an sich in den Vordergrund gestellt wird, sondern nur insoweit, wie es möglich ist, den kindlichen Erfahrungsraum, den kindlichen Raum des Selbstausdrucks, dadurch zu erweitern. Im Bereich Sprache, da haben wir jetzt schon einige ganz interessante Beispiele aus der Praxis: Etwa dass ein Junge sich lange Zeit, obwohl er einen altersgemäßen Wortschatz hat, in der L2, also im Deutschen, dass er sich über die App Puppet Pals und über die App BookCreator viel mehr getraut hat zu sprechen. Dass er überhaupt erst die Erfahrung gemacht hat: Wie hört sich denn meine eigene Stimme an? Und daraus dann auch einen ganz besonderen Ehrgeiz entwickelt hat. Und das ist dann ein Zugewinn an positiver Interaktion. Damit kommen wir in den ko-konstruktiven Bereich rein. Und das ist es letztendlich, was die Kinder dann ganz oft nach vorne bringt.

Ko-Konstruktion ist auch eine Art der Interaktion mit Kindern. Wenn ich davon ausgehe, dass ich interessenorientiert arbeite und gewisse Impulse gebe, aber über die Impulsgebung hinaus versuche, mich möglichst zurückzuhalten. Im Prinzip ist das mehr so eine Art Coaching oder sokratisches Gespräch, bei dem man versucht, durch Fragen und durch gezielte Impulse bei den Kindern dieses Selbstlernen, das intrinsische Lernen zu fördern. Wenn ich merke, dass die Kinder sich für Autos interessieren, dann könnte ich zum Beispiel die Stop Motion App anbieten und ihnen anbieten, mit ihnen zusammen einen Trickfilm zu machen, wie ein Auto mit Lego Stück für Stück aufgebaut wird. Oder wenn ein Kind sich für Schnee interessiert, dass ich dann, wenn es die Jahreszeit anbietet, einen Packen Schnee mit reinhole und unter das Mikroskop lege. Das haben wir jetzt gerade so gemacht. Da man damit ja auch Videos machen kann, sieht man dann wirklich in Echtzeit, wie der Schnee langsam schmilzt. Also Ko-Konstruktion bedeutet nichts Anderes, als eine vorhandene Idee des Kindes aufzugreifen und sie nach Möglichkeiten der pädagogischen Bereicherung abzuklopfen und dann verschiedene Angebotsstrukturen zu machen. Deswegen Ko-Konstruktion: Man konstruiert zusammen etwas Neues."

Entdeckendes Lernen wird dieses Jahr ein Schwerpunkt von medienBUNT-rlp. Erzieher*innen machen sich gemeinsam mit den Kindern auf den Weg, bestimmte Sachen zu entdecken, und zu lernen. Ist das das Gleiche?

CS: "Da bin ich dann sogar noch in einem höheren Level der Konstruktion, weil ich davon ausgehe, dass beide (Erzieher*innen und Kinder) in einem Bereich des Noch-Nichtwissens, der Noch-Nicht-Erfahrung sind. Was ja noch mal eine Stufe mehr ist."

Loszulassen und zu sagen, ich weiß eigentlich nicht mehr oder vielleicht sogar weniger als das Kind und das Kind kann mir etwas erklären oder zeigen - das ist doch für viele Menschen und auch Pädagog*innen schwierig, oder?

AW: "Ich persönlich habe jetzt vor sechs Jahren meine Ausbildung beendet und in der Schule haben wir auch gesagt: Wir sind Lehrende und Lernende zugleich. Und wenn es dann irgendwas gibt, was ich nicht weiß oder ein Kind kommt auf mich zu und sagt: Wie macht denn das Tier? Dann sage ich auch: Oh, das weiß ich jetzt nicht. Komm, wir suchen zusammen eine Lösung. Wie könnte man denn da darauf kommen? Und dann gemeinsam analoge oder digitale Medien zu nutzen, zum Beispiel mit dem iPad oder einem Buch gemeinsam die Lösung zu  finden. Ich bin relativ jung, weiß schon ziemlich viel aber es ist auch schön etwas nicht zu wissen und mit den Kindern gemeinsam herauszufinden. Die Kinder sind dann auch motiviert: 'Ich bringe dir jetzt was bei!' Ich finde es nicht schlimm, das zuzugeben. Ich bin da auch offen zu den Kindern und ich finde es immer besser, wenn man das dann offen mit allen bespricht, dass man eben mal etwas nicht weiß."

Die Kinder bringen ja nicht nur Kenntnisse mit, wie bestimmte Geräte funktionieren, sondern auch ihre eigenen Medienhelden mit. Bringen sie auch ihre eher kritikwürdigen Medienerfahrungen mit?

CS: "Das hat man im Kindergarten immer, da kommen wir gar nicht mehr darüber hinaus. Gerade weil Lebensweltorientierung für uns der erste Schritt ist, bevor wir mit Impulsen ansetzen, sehen wir das im Kindergarten einfach als gegeben an. Die Medien lassen sich aus der kindlichen Erfahrungswelt gar nicht ausschließen und man sollte sie auch gar nicht ausschließen. Die Frage ist: Kann ich abseits von Tabuisierung den Kindern andere Bereiche anbieten, um vielleicht negative Erfahrungen anders zu konnotieren, anders umzusetzen, mit anderen Erfahrungen, gerade mit Selbstwirksamkeit. Raus aus diesem reinen Konsumentenbereich, hin zu dem selbstwirksameren Produzentenbereich gehen. Wenn Kinder mit fragwürdigen Inhalten ankommen, dann ist es so, dass wir uns da auch zusammensetzen und versuchen, diesen Inhalt zu hinterfragen und nicht nur von vornherein zu tabuisieren. Aber das ist Fakt, dass die Kinder mit ganz viel Vorerfahrung gerade auch im Bereich der digitalen Medien oder besser gesagt der digitalen Inhalte hier in den Kindergarten kommen. Das lässt sich in keiner Weise vermeiden. Die Frage ist einfach, wie können wir konstruktiv damit umgehen."

AW: "Wir versuchen, die Eltern entsprechend zu sensibilisieren: Passen Sie bitte auf, was Ihr Kind mit Handy und Tablet macht! Es geht darum, mit den Eltern an einem Strang zu ziehen und sie dabei zu unterstützen. Es gibt verschiedene Apps für Kinder, da können wir ein bisschen positiv vermitteln, welche Apps gut sind. Wichtig ist, dass Eltern dann auch dabeisitzen. Wir hatten mit einer Mutter das Thema Huggy Wuggy. Sie hat es bemerkt und uns dann erzählt, was das ist. Bei uns im Kindergarten fing es langsam damit an, dann kam die Huggy-Wuggy-Welle. Ich habe gehört, dass sie erzählt hat, dass ihr Kind über YouTube Kids reingeht und dass sie akribisch darauf achtet. Dort gab es aber eine ähnliche Serie. Auch da ging es darum, Leute zu umarmen und zu erschrecken und dann in der Serie umzubringen. Weil es harmlos betitelt war, hat es YouTube Kids gezeigt. Da ist es wichtig, die Eltern zu sensibilisieren: Auch wenn die Kinder diese kindergeschützte App haben, trotzdem mal reingucken und es mit den Kindern dann gemeinsam zu besprechen: 'Hey, wenn du irgendwas Blödes siehst, sag mir Bescheid', sodass Kinder und Eltern keine Geheimnisse voreinander haben. Kinder sollen wissen, der Erwachsene ist mein Anker, da kann ich jederzeit hin. Mit den Medien heißt das, dass man den Kindern sagt: Das ist nichts Gutes, was du da schaust - bitte lass es!"

Welchen Mehrwert hat der Einsatz von Medien in der Kita, wenn wir speziell über die Situation und die Interaktion reden?

CS: "Der Mehrwert ist definitiv, dass ich flexibler in meinem Handeln bin. Den Situationsansatz kann ich einfach noch besser leben, weil ich situativ mehr an Impulsen geben kann, allein aufgrund der Ubiquität der Daten, die auf dem Tablet drauf sind. Allein aufgrund der Anreize, die auf dem Tablet sind, kann ich einfach mehr schneller anbieten."

AW: "Man hat es dann auch griffbereit. Und wenn man irgendwas mit dem Mikroskop ganz genau betrachten möchte und eine normale Lupe, die kann das gar nicht so genau. Man hat das Tablet dabei und kann das Mikroskop damit verbinden und dann situativ sagen: Okay, wir gucken uns jetzt dieses Tier genauer an, diesen Schnee, was auch immer gerade dran ist. Das ist dann einfach schneller: Der Schnee schmilzt, aber das Tablet und ein Mikroskop sind griffbereit, genauso wie ein Buch."

CS: "Es ist auch anschaulicher, als wenn ich mir das in einem Buch angucken würde. Im Bereich sprachliche Bildung, im Bereich ästhetische Bildung kriegen die meisten Kinder relativ schnell mit der App Puppet Pals heraus, wie einzelne Stücke zu konstruieren sind. Und dann bekommen gerade die Kinder, die sich sprachlich eher zurückhalten, darüber einen besonderen Anreiz, sich in Deutsch zu äußern. (Am konkreten Beispiel) Das waren zwei Kinder, die sich sonst im Alltag sehr wenig sprachlich selber zutrauen. Das sind Schlüsselsituationen, in denen implizites Lernen stattfindet (also nicht explizites Lernen, wie es in der Schule vonstattengeht, Frontalunterricht).

Der Anteil der Ko-Konstruktion bestand hier darin: Die Kollegin hat es den beiden Kindern vorgestellt, hat ihnen verschiedene Möglichkeiten gezeigt, um sie soweit erst mal Empowerment mäßig fit zu machen, mit dieser App umzugehen. Und der Mehrwert und die positive Interaktion, die daraus erfolgt - wenn ich das als Werkzeug nutze um Selbstwirksamkeit, egal in welchen Bildungsbereichen evozieren zu können: Über den Weg der digitalen Medien, den die Kinder ja auch schon von zu Hause aus kennen, nur aus einer rein konsumierenden Rolle, ist der Mehrwert, wenn ich sie in die Rolle eines Produzenten bekomme, ungleich höher und dementsprechend auch die Ergebnisse in Hinsicht sprachliche Äußerung, in Hinsicht sozial emotionaler Bindung. In dem Alter ist im sozial emotionalen Bereich ja auch ganz wichtig: Wer bin ich? Wo sind die Anderen? Wer ist mein Freund? Das ist in dem Alter ja ein Dauerthema, das ich auch digital ausleben lassen kann über solche Apps. Sei es Book Creator: Das sind meine Freunde, jeder darf da drin was malen als so eine Art digitales Freundschaftsbuch oder eben bei Puppet Pals im szenischen Sinne, dass man kurze Sequenzen aus dem eigenen Leben noch mal darstellen lassen kann."

Welche Rolle spielt die Möglichkeit, es immer wieder anzusehen? Zum einen ist es ja ein Unterschied zu einem analogen Mikroskop, dass es hier immer die Möglichkeit gibt, mehrere Kinder mit einzubeziehen, das heißt, es können mehrere zugucken. Zum anderen kann man es auch immer wieder aufrufen und es dann immer noch mal gemeinsam besprechen oder auswerten.

CS: "Das spielt eine große Rolle. Es ist immer ein Akt der Selbstvergewisserung für das Kind. Was habe ich gemacht, was habe ich erreicht? Ah ja, das habe ich gemacht. Da habe ich mich schon viel mehr getraut, zum Beispiel zu sprechen. Und das Gerät gibt ja ein ganz klares Feedback. Und dieses Feedback findet auch zusätzlich noch auf sozialer Ebene statt. Wir hatten es zum Beispiel auch, dass in einer anderen Gruppe sich Mädchen gerade für Cheerleader interessiert haben. Die haben für sich einen Tanz eingeübt, und ein anderes Kind, das sich für Kamera und Filmen interessiert hat, hat sie dann abgefilmt. Dann wurde der Film später im Sitzkreis vor der kompletten Gruppe gezeigt und auch da habe ich wieder so eine Art soziales Feedback. Ich habe mich getraut. Wie reagieren die anderen auf meinen Tanz? Es ist so eine Art von Magnetmoment. Ich kann damit Momente, die für die kindliche Entwicklung sehr, sehr wichtig sein können, festhalten und später nochmal als zusätzliche Bestätigung zeigen."

Sie haben gesagt: situationsorientierte Arbeit bedeutet eigentlich, man kann es in allen Bereichen einsetzen. In welchen Situationen und Interaktionen zwischen Kindern und Erzieher*innen zeigt sich der Mehrwert?

AW: "Es gibt keine bestimmten Interaktionen oder Situationen, wo man sagt: Oh, jetzt kann ich das einsetzen. Das kann man überall mit reinbringen."

CS: "In welchen Situationen zeigt sich der Mehrwert des Einsatzes von digitalen Medien? Zum einen in der sprachlichen Ermächtigung der Kinder, die sich dann auch im Alltag mehr trauen, weil sie Feedback über das Gerät erhalten, was selbst Kinder in einem frühen Kindesalter, denke ich, schon als objektive Quelle ansehen können. Ah, ich sehe das. Okay, das scheint passiert zu sein.“

AW: "Wir hatten das Beispiel eines Kindes, das im Atelier bei uns ungern malt und das gar nicht möchte. Und auch die Stifthaltung ist dementsprechend: Er macht noch den Faustgriff. Dann habe ich die Idee gehabt, wir könnten ja mit dem Tablet ein Mandala abfotografieren. Er hat dann wirklich lange dran gesessen, hat es bunt angemalt und den Stift in der Hand gehabt. Dann konnte man ihm auch sagen, dass man den Stift richtig halten muss, sonst funktioniert es nicht. Dadurch hat er die richtige Stifthaltung lernen können. Das war ein Mehrwert, weil es ressourcenorientiert war, nicht defizitorientiert. Er hat sich wohl für das Tablet interessiert, er hat zu Hause wohl eins. Was er zuhause machte, ging eher in Richtung Konsum: Bei uns hat er wirklich lange dagesessen, was er in einem Atelier am Tisch analog gar nicht so gemacht hätte. Und da war es für ihn und für uns ein Mehrwert, seine Interessen aufzugreifen. Da hat er auch Spaß gehabt. Und jetzt? Mittlerweile geht er öfters ins Atelier und malt dann auch mal mit dem Stift."

Ist es einfach die Attraktion, dass man mit dem Gerät etwas machen kann?

CS: "Im ersten Augenblick sicherlich. Was wir allerdings über den längeren Zeitraum auch gemerkt haben, ist, dass es immer mehr als normaler Alltag angesehen wird. Die Tablets liegen bei uns auch in den Gruppen, so dass die Kinder auch von sich aus drankommen können. Es gab jetzt schon einige Beispiele, dass trotzdem das gute alte analoge freie Spiel in ganz vielen Situationen für die Kinder wichtiger war als sich zu zweit ans Tablet zu setzen und zu sagen: Komm, wir spielen mal ne Runde Malduell. Es gab einige Situationen, wo von uns Vorschläge kamen: Ihr interessiert euch gerade für Lego Roboter. Sollen wir mal einen Stop Motion Film machen mit Lego Robotern? Das ist jetzt oft schon so, dass die Kinder von sich aus ein gutes Gespür dafür entwickeln. Nein, eigentlich möchte ich gerade lieber mit meinen Freunden spielen. Gerade möchte ich eher freispielen. Die Befürchtung kann man wirklich völlig zerstreuen, dass sobald das Tablet in der Gruppe liegt, alle sich drauf stürzen und im Prinzip nur noch am Daddeln sind. Es ist wirklich so, dass das als ein weiteres pädagogisches Werkzeug bei uns benutzt wird und auch genauso angenommen wird, ohne dass das von den Kindern zum selbstvergessenen Versinken in irgendwelchen konsumerablen Medienwelten benutzt wird.

Die Möglichkeiten sind begrenzt, die die Kinder mit den Geräten hier haben. Geht das eher in die Richtung, produktiv zu sein?

CS: "Genau, und darum geht es ja auch, dass man nicht sagt, man spielt das Analoge gegen das Digitale aus, sondern beides hat seine Berechtigung. Die Kombination aus beidem schafft es einfach die Kinder für die heutige Zeit wesentlich demokratiefähiger, wesentlich selbstbewusster und selbstgewisser handeln zu lassen. Von daher hat das genauso viel Wert und Sinn unserer Meinung nach, wie Bausteine oder -kasten oder andere Dinge. Es ist einfach ein weiteres Werkzeug, um den Kindern zu ermöglichen, ihren eigenen Bildungsweg besser und selbstständiger zu gehen."

Können Sie noch was zu der Kombination von analog und digital sagen? Wo gibt es gute Kombinationen?

CS: "Wenn ich kreativ etwas machen möchte, sei es im Stop Motion Bereich, nimmt man sich Sachen aus der analogen Welt, zum Beispiel Spielzeuge, mit denen die Kinder gerne spielen. Das nehme ich dann als Vorlage, als Material für den Stop Motion Film. Spielzeug ist letztendlich das, was bei uns analog schon vorhanden ist. Da spielen ganz viele Sachen eine Rolle. Im Beispiel: Das Mädchen musste sich erst überlegen, welche Geschichte möchte ich denn erzählen, wie ordne ich das an? Genau da sind wir im Ko-Konstruktionsbereich. Wir zeigen, was ist möglich, wie funktioniert es Schritt für Schritt? Aber die letztendliche Ausgestaltung, die liegt ganz allein beim Kind. Darum soll es ja gehen."

AW: "Oder auch das Lieblingsbuch: Von den Kindern aus der anderen Gruppe habe ich mitbekommen, da hat ein Kind ein Buch von zu Hause mitgebracht. Dann haben sie das gemeinsam gelesen und haben dann über Book Creator das noch mal neu verfilmt. Sie haben dann im ganzen Haus nach den Tieren, die in dem Buch vorkamen, gesucht. Wie kann man es denn noch lösen? Dann haben sie alles selber gemalt und dann abfotografiert und so in ihr eBook reingebracht."

CS: "Da habe ich ja auch wieder die Verknüpfung von analog und digital, erst die Zeichnungen der Kinder, dann sprechen sie dazu.Grundsätzlicher Ansatz ist nicht, das Analoge gegen das Digitale auszutauschen oder gegeneinander auszuspielen. Durch Kombination von realen Gegenständen auf einer digitalen Gestaltungsebene kann ich das Beste aus beiden Welten kombinieren, um dem Kind eine ganz neue Lernerfahrung zu ermöglichen. Und das Kind unterteilt das auch nicht: Okay, was mache ich jetzt? Spiele ich jetzt lieber mit echten Autos oder zocke ich eine Runde auf dem Tablet? Nein, ich kann beides miteinander kombinieren. Warum nicht einen Film übers Autorennen machen? Oder warum mir nicht mein eigenes Wunschauto auf Book Creator malen? Also über die Kombination beider Welten noch mal ein ganz anderes Erlebnis zu kreieren. Das lässt das Kind im besten Falle lernen: Ich kann mich auch engagieren. Ich gebe auch bei Schwierigkeiten nicht gleich auf. Stichwort Lerndisposition! Wenn ich mich engagiere und wenn ich dranbleibe und dabei noch neues Wissen erwerbe, dann kann am Ende etwas richtig Cooles dabei rauskommen."

Welche Lerneffekte könnte man generieren und lässt sich das in einer Lernspiel App nachhaltig verankern?

CS "Lernspiel App: Dafür brauche ich keine neue App zu programmieren. Über BookCreator habe ich die Möglichkeit, zum Beispiel ein Mikroskoprätsel zu machen. Wir haben die Sachen übers Mikroskop abfotografiert und dann ein Bilderrätsel draus gemacht. Und das Schöne ist ja bei Book Creator: Man kann es sich auch vorlesen lassen. Wenn das Kind die Funktionsweise verstanden hat - und die Benutzeroberflächen, die sind recht intuitiv - geht das relativ schnell. Da sind wir als Erzieher gar nicht mehr in der Position, dass wir ständig anleiten müssen, sondern die Kinder können selbstständig davon Gebrauch machen. Da haben wir zum Beispiel verschiedene Fotografien, die wir vorher mit dem Mikroskop gemacht haben, einfach aufgelöst. Da spielen ganz viele Bildungseffekte und Lerneffekte rein. Ich habe visuelle Wahrnehmungsmuster, die geschult werden können. Ich habe die emergent literacy, also das heißt, Phonem- und Graphem-Korrespondenz, also Buchstaben und Laute, wie hängen die miteinander zusammen? Das kann ich als Impuls mit reinbringen. Andere Lerneffekte: Wie wir vorhin schon über die beiden Beispiele der sprachlichen Ermächtigung sprachen, über Puppet Pals: Dass die Kinder sich trauen, weil sie es erst mal zu zweit auch in einem geschützten Rahmen machen, mehr aus sich herauszukommen, mehr Sprachperformanz zu zeigen, einfach weil sie über das Gerät in gewisser Weise positiv getriggert werden. Das sind weitere Lerneffekte."

Können Sie noch etwas zu dem Thema Sprachanlässe sagen?

CS: "Sprache ist ja ohnehin eine der elementarsten Kulturtechniken, Schlüsseltechniken und Sprachanlässe bietet das Tablet wirklich zuhauf. Sei es dahingehend, dass ich, wenn ich Kinder neu heranführe, über die Bedienung schon ganz viele Sprachanlässe schaffe. Wo muss ich drücken? Links, rechts, oben, unten - die ganzen lokalen Präpositionen. Wenn das Kind dann soweit ist und die Bedienung beherrscht, kann ich über die Inhalte sprechen. Die Kinder kommen und zeigen ganz stolz das, was sie geschaffen haben. Da habe ich wieder Sprachanlässe, die ich absolut positiv konnotieren kann, wo es nicht darum geht, irgendwelche Sanktionen durchzusetzen, sondern wo das Kind sich selbst ganz, ganz positiv wahrgenommen fühlt, mit seiner Leistung wertgeschätzt fühlt und das dann einfach sprachlich und gleichzeitig bildlich kommuniziert werden kann. Und je visueller ich etwas sprachlich auch nochmal verankern kann, desto besser ist das ja auch für den Spracherwerb, weil das dann nicht mehr nur über einen Lernkanal funktioniert, sondern über mindestens zwei Lernkanäle.

AW: "Wir haben sehr viele Kinder hier mit Migrationshintergrund, mit Deutsch als Nicht-Muttersprache. Mit ihnen kann man gemeinsam eine Lern-App machen zum Beispiel mit verschiedenen Tieren. Wie heißen sie auf Türkisch oder in anderen Sprachen? Ein Kind, das Deutsch kann, spricht auf Deutsch und lässt es dann durch Book Creator vorlesen. Das nicht deutschsprachige Kind sieht das Bild von dem Hund und hat ein Aha-Erlebnis: In seiner Sprache heißt es so und in der deutschen Sprache ist es der Hund. Von zuhause kennen das ganz viele Kinder, wie man ein Tablet bedient. Wenn wir dann gemeinsam dasitzen, und wir erklären, was wo ist und teilweise wissen es die Kinder schon, dann ist dieses Verknüpfen in diesem Falle von Deutschspracherwerb mit dem gegenseitigen Lernen ein Mehrwert."

Wenn man das praktisch so macht, mit den Kindern gemeinsam Sprachversionen schafft: Ich stelle mir vor, dass es noch mal eine Wertschätzung von der Herkunfts- oder Familiensprache ist, wenn man die einbezieht und das nicht die vorgegebene Lern App oder Übersetzungsapp ist - die ja auch eine andere Sprache irgendwie übersetzen kann und ein Wort sprechen kann. Aber der Mehrwert ist dann, dass ich das Kind eben mit einbeziehe, oder?

CS: "Im kompletten digitalen Lernen sowieso immer. Da befindet sich das Kind dann ja wieder in einer Expertenrolle. Das ist das pädagogische Credo im alltäglichen Umgang, was ja jeder Erzieher irgendwo für sich gebildet haben sollte, wo er sich irgendwann mal mit auseinandergesetzt haben sollte: Was ist mein Bild vom Menschen? Was ist mein Bild vom Kind? Wie lernen Kinder das? In solchen Momenten kann ich das mit ganz, ganz viel Authentizität aufladen. Wenn die Kinder merken: Oh, wir haben den Erwachsenen jetzt etwas beigebracht. Stolzer, glaube ich, können Kinder gar nicht sein. Von daher bin ich mit Angelique auch absolut einer Meinung. Man darf sich als Erzieher auch in dieser Rolle, wenn es um Macht oder Autorität geht, niemals so ernst nehmen."

AW: "Wir sind Lernende und Lehrende zugleich. Auch wenn ein Kind mit uns nicht reden kann. Wenn man das Tablet oder die Medien mit reinbringt und das Kind sich damit auskennt und sich dann erstmal selber dabei zuhört, die Sprache zu sprechen. Es traut sich dann auch vielleicht mehr zu reden, weil es ja interessant ist, seine eigene Sprache zu hören. Nicht wenn ich jetzt vorne stehe und sage, jetzt sagst du das und jetzt ist das oder hol ein Buch raus und sag hier, guck mal!“ 

CS: "Diese Wertschätzung der Expertenrolle, die für Kinder immens wichtig ist, weil sie dann ganz sensibel erfahren: Moment, jetzt kann ich ja den Großen was beibringen und über dieses Beibringen lernt das Kind ja wiederum auch selbst mehr."

AW: "Wenn das Kind nicht sprechen möchte, weil es sich nicht traut, das aber über das Tablet gemacht hat und dann sich auch im Analogen traut, weil es weiß: Okay, ich kann es, ich verstehe es jetzt endlich auch mal! Weil ich es mir nochmal angehört habe. Sprachförderung hat einen großen Mehrwert mit Medien und auch analog."

CS: "Weil es einfach auch wirklich mannigfaltigste Sprachanlässe gibt, wo das Kind aus seinem Eigeninteresse - und da sind wir wieder bei der intrinsischen Motivation - einfach auch viel bereiter ist, zuzuhören. Man kann es direkt kontextual verknüpfen: Welches Wort gehört zu welchen Inhalten? Das sind definitiv ganz große Vorteile der digitalen Medien."

AW: "Sie wollen sich einfach mal selber hören, reden dann mit Absicht viel und wissen dann auch, okay, dieses Medium nimmt alles auf, was ich sage. Sie versuchen, so viel wie möglich zu reden, damit sie sich selber dann hören können. Und das Wort kann ich auch noch und das kann ich auch noch sagen! Dadurch trauen sie sich mehr, weil sie sich danach anhören können."

CS: "Das ist die Ebene der Selbstvergewisserung, die ich im Sprachlichen haben kann, im Bildlichen. Diese Speicher-Funktion des Sprachlichen und auch des Bildlichen, dessen, was das Kind selber aus sich heraus geschaffen hat, mit oder ohne Anleitung, selbst gesteuert oder ko-konstruktiv. Das ist eine ganz wichtige Fähigkeit der digitalen Medien, weil ich das immer wieder herausholen kann wie die Portfolioordner der Kinder. Nur die Portfolioordner der Kinder sind nun mal in Schrift und Bild festgehalten. Im digitalen Bereich habe ich wesentlich mehr Dynamik drin. Und je mehr Dynamik ich habe, desto mehr mögliche Schlüsselmomente. Die ich dann wieder nutzbar machen kann, sowohl für das Kind selbst als Selbstvergewisserung, als auch um darauf weiter aufzubauen, noch andere Bildungsbereiche zu fördern."

Das Interview führte Hans-Uwe Daumann, ehemaliger stellvertretender Geschäftsführer von Medien und Bildung RLP.